Freitag, 24. Januar 2014

Wenn der braune Volkszorn tobt

Ich gehöre nun wirklich nicht zu denen, die, wenn sie das Wort "Flüchtling" hören, rausrennen und die nächste Solidemo organisieren, aber ich halte es unter anderem für ein vollkommen verständliches Verhalten, wenn jemand in einem Land, in dem es nichts zu beißen gibt, in ein Land flieht, das jeden Tag tonnenweise Essen wegschmeißt, weil dessen aufgedrucktes Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht ist. Man kann sich darüber unterhalten, wie man im Detail mit solchen Menschen verfährt, aber ihre Motive kann ich sofort nachvollziehen.

Umso mehr befremdet mich die Geschichte, die in dieser Woche bei Eschweiler passierte. Dort hat die Polizei eine Gruppe Flüchtlinge gefunden, die in einem Kühllaster auf dem Weg nach England war. Was dann passierte, finde ich, gelinde gesagt, bizarr. Irgendwas musste natürlich mit diesen Menschen geschehen. Aus dem Bauch heraus hätte ich vermutet, dass die Polizei einen Mannschaftswagen herbeiruft, die Menschen dort hineinsetzt und irgendwohin fährt, wo man Flüchtlinge halt aufnimmt, bis klar ist, wie weiter verfahren wird. Statt dessen zücken die Beamten ein Bündel Bahntickets und sagen ihnen, sie sollen damit nach Dortmund fahren. Sonst nichts, nicht einmal eine Polizistin, die sie begleitet. Angeblich, weil das Gesetz ihnen verbietet, diese Flüchtlinge selbst zu transportieren.

Leute.

Die können kein Deutsch. Wahrscheinlich auch kaum Englisch.

Die wussten bis eben nicht einmal, dass Dortmund überhaupt existiert, geschweige denn, dass es sie interessierte, weil sie ja eigentlich nach England wollten. Darüber hinaus habe selbst ich mit Hilfe von Bahnapps und modernsten technischen Sperenzchen mitunter Schwierigkeiten, eine vernünftige Verbindung von A nach B zu finden, wie soll es da Leuten gehen, die sich ohne jede Ortskenntnis und rudimentären Verständigungsmöglichkeiten auf die Reise begeben?

Natürlich sind die verschwunden, hat das jemand anders erwartet?

Davon abgesehen wüsste ich gern, aufgrund welcher rechtlichen Handhabe die Polizei ihre Aufgabe mit der Aushändigung einiger Bahntickters als erledigt ansehen kann. Auf der einen Seite veranstalten wir mitunter ein Riesenbrimborium und setzen abgelehnte Asylbwerberinnen mit Handschellen gefesselt in eine Lufthansamaschine, um sie außer Landes zu fliegen (eine Behandlung, die ich, nebenher gesagt, für insdiskutabel menschenunwürdig halte), aber für die Begleitung einer Gruppe Menschen, die sich rein rechtlich betrachtet illegal in diesem Land befinden, gibt es auf einmal keine Handhabe? Ich bin keine Juristin, aber das könnt ihr mir nicht erzählen.

Sei's drum. Die Flüchtlinge sind verschwunden. Vielleicht versuchen sie, sich weiter nach England durchzuschlagen, vielleicht haben sie auch beschlossen, hier zu bleiben. Ich kenne diese Menschen nicht, unterstelle ihnen deswegen nichts Böses und hoffe, dass sie auf ehrliche Weise klarkommen werden. Ich möchte mit ihnen nicht tauschen müssen.

Damit könnte man die Sache auf sich bewenden lassen. Was mich befremdet, ist die öffentliche Reaktion auf diese Geschichte. Lest euch beispielsweise die Kommentare zu  diesem WDR-Bericht durch. Guckt noch einmal auf die Adresszeile. Das ist nicht der Kommentarbereich der DVU-Homepage oder der "Bild", das ist tiefstbürgerlicher öffentlich-rechtlicher Rundfunk, auf dessen Seiten sich der braune deutsche Volkszorn austobt. Da gibt es keine unreflektierte, unausgegorene, instinktgesteuerte Platitüde, die nicht bedient wird. Leute, ich will wirklich nicht, dass ihr jeder Ausländerin tränenerstickt um den Hals fallt und romantisch-verklärte Solidarität verbündet, aber ein bisschen mehr Empathie, wenigstens Spuren von Hirnschmalz hätte ich schon noch erwartet. Fast 70 Jahre nach Ende des 2. Weltkriegs hätte ich erwartet, dass sich in diesem Land ein Menschenbild durchgesetzt hat, das, naja, einfach ein bisschen differenzierter ist als dieses dumpfe: "Oh, böh. Ausländer. Böse. Fressen uns alles weg. Klauen. Unsere Arbeitsplätze." Hat sich in unseren Köpfen wirklich so wenig geändert?

Mittwoch, 1. Januar 2014

30c3 - never stop being awesome

Der Congress war wieder einmal viel zu schnell vorbei, er war wieder einmal großartig, und wieder einmal strömen mehrer tausend übernächtigte Nerds zurück in ihre Heimatstädte, um dort die Congressgrippe zu verbreiten.

Der Umzug ins CCH hat der Veranstaltung sehr gut getan, weil einfach noch viel mehr tolle Dinge aufgebaut werden konnten und weil nur so glaubwürdig der Anspruch vertreten werden kann, sich nicht auf eine kleine Technikelite zu konzentrieren, sondern für alle Interessierten da zu sein.

It's over 9000


Die kamen dann auch - nach offiziellen Zahlen über 9000. Im Gebäude selbst fiel das kaum auf; das CCH ist riesig. Dennoch kommt die Veranstaltung bereits im Jahr 2 nach ihrem Umzug schon wieder an ihre Kapazitätsgrenzen. Nur ungern denke ich an Situationen im BCC zurück, wo die Zuschauerinnen bei besonders beliebten Vorträgen mindestens einen Vortrag früher schon im Raum erschienen, um noch einen Platz zu bekommen. Damit schien im CCH für einige Zeit Schluss zu sein, weil die beiden großen Vortragssäle 1 und 2 ungefähr so vielen Besucherinnen Platz boten wie einst das ganze BCC. Selbst das reichte in diesem Jahr mehrfach nicht aus. Als kleiner Trost konnten diejenigen, die in einen Saal nicht mehr hinein passten, in den zweiten großen Saal ausweichen, wohin der entsprechende Vortrag gestreamt wurde, doch wer die Interaktion der Bühne mit dem Publikum kennt, weiß, dass die Atmosphäre eine andere ist.

Abgesehen davon freue ich mich sehr, zu erleben, wie stressfrei 9000 Menschen miteinander umgehen können. Zwar gab es vereinzelte Diebstähle, aber die alte Regel, dass man auch wertvolle Gegenstände irgendwo herumliegen lassen kann und sie dort auch bleiben, gilt weiterhin mit hoher Wahrscheinlichkeit.

Prominente Vorträge


Zwei Drittel der eingereichten Vorträge mussten abgelehnt werden, aber wenn ich mir die verbliebene Auswahl ansehe, bin ich beeindruckt vom glücklichen Händchen des Auswahlkommitees. Viele große Namen schmückten auch diesmal das Vortragsprogramm. Der Congress neigt ein wenig zum Fanboytum. Manche Leute könnten das größte Blech reden, und trotzdem kämen die Leute. Einige werden jetzt an Assange denken, der per Stream hinzugeschaltet wurde. So sehr ich seine Verdienste ums Whistleblowing im Allgemeinen und Wikileaks im Besonderen schätze - in meinen Augen ist Assange ein rücksichtsloser Fanatiker, der ohne zu zögern über Leichen geht und außer seiner eigenen Meinung nichts gelten lässt. Seine Ansichten halte ich für interessant und diskussionswürdig, aber ich begegne ihnen mit äußerster Vorsicht. Nur weil Assange etwas sagt, muss es noch lange nicht wahr sein.

Fans und ihre Helden


Die Netzaktiven scheinen Helden haben zu wollen. Deswegen kleben sie sich stilisierte Fotos von Chelsea Manning oder Edward Snowden auf ihre Rechner. Gerade bei Manning bin ich mir aber nicht sicher, ob man damit der Sache gerecht wird. In meinen Augen war Manning ein etwas naiver und leicht beeinflussbarer Soldat, der von Assange in eine Sache hineingezogen wurde, deren Tragweite er nicht absehen konnte. Ich bin mir sicher, noch einmal vor die Wahl gestellt hätte sie heute anders entschieden. Das ändert nichts an ihrem historischen Verdienst, aber ich frage mich, ob man in ihr nicht weniger eine Heldin als ein Objekt Assanges egomanischer Schachzüge sehen sollte. Snowden scheint mir da deutlich bewusster vorgegangen zu sein, was man allein schon an seiner gut geplanten Flucht merkt.

Die Szene hat ihre Popstars. Leute wie Appelbaum verkörpern einfach alles, was man dazu braucht: Jugendlichkeit, Intelligenz ungeheure Energie und ein tolles Projekt. Anders kommt da der relativ alte ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar daher, dessen Intelligenz und Energie zwar niemand bestreitet, der aber als Projekt ein furchtbar sperriges und innerhalb der Szene auch nicht unumstrittenes Gesetzeswerk hat. Damit wird man kein Popstar - sollte man meinen.

Es hat mich offen gesagt sehr gerührt, mit welch langem, herzlichem und bisweilen stürmischem Applaus der rappelvolle Saal 1 die Arbeit dieses Mannes gewürdigt hat. Immer wieder wurde Schaars verschmitzter und rhetorisch guter Vortrag von langem Beifall unterbrochen. Offenbar haben viele begriffen, was dieser Mensch in den letzten 10 Jahren geleistet hat und wie groß die von ihm hinterlassene Lücke ist - und das, obwohl er auf die großen, knallige Medienauftritte weitgehend verzichtete.

Aufrechte Hacker


Allerdings musste man gar nicht in die Vorträge gehen, um großartige, aufrichtige Menschen zu erleben. Die liefen nämlich auch so auf der Konferenz herum. Nachgewiesenermaßen zu hunderten, wahrscheinlich zu tausenden. Um nämlich herauszufinden, wie sehr die Szene den Verlockungen des Mammons widerstehen kann, hatte eine Schauspielgruppe sich als Anwerberinnen für eine Sicherheitsfirma ausgegeben und 500 Besucherinnen angesprochen. Das Ergebnis: 495 sagten sofort ab, in zwei oder drei Fällen gab es weitere Verhandlungen, einer rief die Veranstaltungsleitung und einer ließ sich mit versteckten Aufnahmegeräten bewaffnet zum Schein auf ein weiteres Gespräch ein und wollte seinerseits das Material veröffentlichen. Man scheint sich also einig zu sein, wie man mit solchen Situationen umgeht.

Dekoration


Ein Großteil des Congress spielt sich außerhalb der Vortragsräume ab. Viel davon ist ebenso begeisternd, man kann es einfach nur nicht für eine Stunde auf eine Bühne stellen. Eines dieser Projekte war die Seidenstraße, ein geradezu lehrbuchhafter Hack, der die längst ins Technikmuseum verbannte Rohpost wiederbelebte. Dabei bediente es sich einfachster Mittel: Die geriffelten, gelben Plastikrohre, die man gelegentlich auf Baustellen findet, dienen als Transportröhre, mit Klebeband umwickelte Platikflaschen sind die Sonden, und Industriestaubsauger sorgen für den nötigen Luftdruck. Zwar ist das System nicht perfekt - die Rohre hängen durch, müssen entsprechend oft abgestützt werden, und darüber hinaus dürfen Kurven nicht zu eng sein - funktionierte aber gut genug und überzeugte durch schöne Lichteffekte, wenn man Sonden mit LEDs herumschickte.

Modernere Technik hingegen zeigte bisweilen ihre Schwächen. Hatte ein wackliges WLAN über mehrere Jahre zur Vergangenheit gehört, brach diesmal die Verbindung mehrfach zusammen. Gerüchten zufolge lag dies an neuer Hardware, mit der das Netzwerkteam erst einmal ihre Erfahrungen sammeln musste. Härter gesagt: Der CCC muss wieder einmal das Debugging übernehmen, das die Hardwarehersteller eigentlich hätten leisten müssen.

Nerds schätzen es gemütlich. Entsprechend viele Sofas wurden herangekarrt und boten an vielen Stellen Möglichkeiten zum bequemen Surfen und nette Gespräche.An das obligatorische Bällebad wurde natürlich auch gedacht. Wer es etwas exotischer mochte, konnte sich bei Quadrature du Net im Zelt zum Teetrinken einfinden. Hier zeigte sich auch, wie unkompliziert die eigentlich als eher kontaktscheu verschrieenen Nerds sein können: Ich habe keine Ahnung, wer du bist, setz dich zu uns und fühl dich wohl.

Ein wesentlicher Teil des Congress ist das Leutetreffen, und das ist einer der wenigen Nachteile, wenn aus dem verschworenen Hacketreffen der Achtziger eine international beachtete Großveranstaltung wird: Zwar sind alle da, die man eigentlich treffen will, aber es sind so viele, dass man gar nicht die Zeit hat, sie alle zu sehen. Mitunter erfährt man nur über ihre Tweets, was sie gerade anstellen.

Das Schweigen der Femen


Sexismus, das große Aufregerthema des 29C3, spielte in diesem Jahr keine herausragende Rolle. Nach dem darum veranstalteten Wirbel überrascht mich das offen gesagt ein wenig. Ich hätte erwartet, dass den damit beschäftigten Aktivistinnen das Thema wichtiger ist. So aber bleibt der Eindruck, man hätte auf dem letzten Congress einfach nur ein wenig herumtrollen, medienwirksame Auftritte erzeugen, aber in der Sache nichts erreichen wollen.

Doch man muss gerecht sein, eine Aktion brachten sie zustande: Während der Assage-Übertragung machten sie sich ganz mutig an einem der Router zu schaffen  und schafften es, wenigstens Teile der Rede zu verstümmeln. Auf einem Hackerkongress mittels Internetzensur für Menschenrechte demonstrieren und dann nicht einmal den Mumm haben, die Aktion auf der Konferenz zu thematisieren - Respekt, ihr habt eure Zielgruppe echt verstanden.

Eigenlob kann gut aussehen


Die Szene ist nicht ganz uneitel. Man feiert sich gern selbst. Auf der anderen Seite: warum auch nicht? Vor über 30 Jahren haben ein paar Technikenthusiastinnen erkannt, dass die gerade aufkommenden Heimcomputer mehr sind als ein nettes Spielzeug, dass sie die Art, wie wir denken, wie wir die Welt sehen, wie wir miteinander umgehen, verändern werden. Wenn heute auf einem Platz in Teheran Demonstrantinnen zusammenkommen und sich für Menschenrechte einsetzen, kann diese Nachricht binnen Sekunden via Twitter um die Welt reisen, ohne dass ein Kamerateam der ARD dabei sein muss. Die offene Einstellung, mit der viele unbekannte Hacker einander begegnen, ist Beispiel eines wunderbaren Menschenbilds. Entsprechend finde ich das bombastische Video, mit dem der Congress eröffnet und beendet wurde, keineswegs übertrieben. Über 30 Jahre haben Menschen großartige Ideen geliefert und zumindest dafür gesorgt, dass ein kleiner Teil unserer Welt ein besserer Ort geworden ist. Dafür dürfen die Bässe ruhig mal wummern.

Aufgeben gilt nicht


Vielen Besucherinnen war jedoch nicht so ganz nach feiern zumute. Zu tief sitzt der Schock nach den seit dem Sommer eintrudelnden NSA-Horrormeldungen. So sehr man zu resignieren geneigt sein mag, es ist die falsche Reaktion. Nicht nur Assange, sondern auch andere Größen wie Appelbaum, Greenwald und Harrison vermitteln eine andere Botschaft: Leute, werdet aktiv. Wir erleben gerade den kompletten Zusammenbruch vertraulicher Kommunikation und damit das Ende der Demokratie. Wenn wir uns jetzt nicht wehren, werden wir in der Welt landen, von der die großen Diktatoren des 20. Jahrhunderts geträumt haben. Selbst wenn wir scheitern sollten - es soll niemand sagen können, wir hätten es nicht mit aller Kraft versucht.