Mit Prognosen bin ich in der Regel vorsichtig, aber in diesem Fall sage
ich mal: Das war's mit den Piraten, und ich finde es schade.
Schade
- nicht weil ich alle Kapriolen der vergangenen vier Jahre
uneingeschränkt mitgetragen hätte, sondern weil der erste Versuch, 30
Jahre nach den Grünen einen neuen Politikstil zu etablieren, so grandios gescheitert ist.
Was
war im Jahr 2009 passiert? In den Parlamenten gaben Abgeordnete den Ton
an, die Netzpolitik für vollkommenen Blödsinn hielten. Computer waren
für sie bessere Schreibmaschinen und das Internet ein Tummelplatz für
pornoraubkopierende Nazihackerterroristen, Entschuldigung: ein
"rechtsfreier Raum", den es dringend aufzuräumen galt. Zu diesem Behufe
war schon eine Reihe merkwürdiger Gesetze auf den Weg gebracht worden.
Als nun aber die Bundesfamilienministerin ein komplett unausgegorenes
Gesetz zur Internetzensur verabschieden wollte, platzte vielen
Netzbewohnern der Kragen. Sie hätten in den vergangenen Jahren reichlich Quatsch mit ansehen müssen, sagten sie, aber dieses Gesetz ginge
endgültig zu weit. Zwar seien die ersten Ideen zur Umsetzung völlig
wirkungslos, der Weg zu einer effektiven Zensur aber geebnet, und wenn man jetzt nichts unternehme, gäbe es nichts, was chinesische Verhältnisse prinzipiell noch verhindern könne. Unbestrittene Heldin der Stunde war die großartige Franziska Heine, die das Rückgrat besaß, eine Online-Petition beim Deutschen Bundestag einzureichen und die Anfeindungen auszuhalten, die ihr aus den etablierten Parteien entgegen schlugen - bis schließlich dem Letzten klar wurde, dass sich 134.015 Unterschriften nicht einfach als pädophile Störung vom Tisch wischen lassen.
Der deutsche Parlamentarismus basiert aber nicht auf Petitionen, er basiert auf Parteien. Parteien, die in Parlamente einziehen und selbst, wenn sie das nicht schaffen, Mehrheiten gefährden können. Die SPD musste das schmerzhaft lernen, denn mindestens einmal verhinderte die Piratenpartei eine rot-grüne Mehrheit, und dazu musste sie nicht einmal die Fünf-Prozent-Hürde schaffen.
Die Piratenpartei - das Stichwort ist gefallen. Streng genommen gab es sie in Deutschland schon seit dem Jahr 2006, aber außer ein paar Netzaktivisten nahm sie keiner wahr. Ernst nahmen sie noch viel weniger. Im Jahr 2009 war sie jedoch die einzige Partei, die sich ohne jede Einschränkung gegen das Zensurgesetz wandte und das auch lautstark kundtat.
Offenbar traf sie dabei zumindest den Ton, auf den Nerds hören. Sie hatte Internetseiten, auf denen man Dinge nachlesen konnte, sie hatte Mailinglisten, Wikis, Blogs, Etherpads - all die Werkzeuge, die Netzbewohnerinnen schätzen, um ihre Arbeit zu organisieren, all die Werkzeuge, von denen man in den anderen Parteien noch nichts gehört hatte.
Mit Netzpolitik konnte man keine Wahlen gewinnen. Das wurde bei den Wahlergebnissen der Piratenpartei schnell klar, aber man kann sie verlieren, und genau das ist die Sprache, die man in den Analogparteien versteht: Mandatsverluste, Machtverlust, Mitgliederschwund, sinkende Beitragseinnahmen und fehlende Wahlkampfkostenerstattungen. Vor allem die SPD bekam dies zu spüren, hatte sie doch auf einmal im ihrem Spektrum neben den Grünen noch eine weitere Kraft, die ihr Stimmen kostete. Auf einmal war Netzpolitik nicht mehr ein Nischenthema, mit dem man den einzigen I-Phone-Besitzer in der Fraktion ruhig stellte, es war wahlkampfentscheidend und damit wichtig. Entsprechend setzte man sich mit neuen Begriffen wie "Transparenz" oder "Liquid Democracy" auseinander. Vielleicht ist ja doch was dran.
Den restlichen Marsch durch die vergangenen vier Jahre erspare ich Ihnen. Sie kennen ihn: Personalquerelen, überraschende Wahlerfolge, Nazivorwürfe, respektable Wahlergebnisse, peinliche Interviews, umstrittene Bücher, Mitgliederzuwachs, immer noch ordentliche Stimmgewinne. Es waren Dilettanten, aber sympathische Dilettanten, und man war bereit, ihnen sehr viel Blödsinn zu verzeihen.
Langsam aber wollen die Wählerinnen offenbar auch Fortschritte sehen, und da rächt es sich, bei der Besetzung von Schlüsselpositionen nicht ausreichend bedacht zu haben, dass es mitunter ein gewaltiges Delta zwischen Wollen und Können gibt. Selbst wenn die Mandatsträger kompetent sind: Die Piraten lieben die öffentliche Selbstzerfleischung, und sie zelebrieren sie mit einer Hingabe, die man sonst nur von der SPD kennt. Das ist für sich genommen nichts Neues, aber auf die Dauer wirkt es nicht mehr unterhaltsam, sondern ärgerlich.
Warum ich das schade finde, wo ich doch sonst keine Gelegenheit auslasse, auf den Unzulänglichkeiten Anderer herumzuhacken? Weil das politische Ende der Piratenpartei das falsche Signal sendet, weil die Analogparteien, die sich nach vier Jahren mühsam an die Vorstellung gewöhnt haben, sich mit diesem komischen Internet doch noch etwas genauer beschäftigen zu müssen, jetzt wissend lächelnd dasitzen und sagen: Bitte - haben wir's doch die ganze Zeit gewusst, alles Firlefanz. Wir machen schön weiter wie bisher. Internet - so ein Blödsinn.
Ich möchte nicht wetten, dass wir das nächste Internetzensurgesetz noch einmal so leicht abgewehrt bekommen.