Es ist schon einige Jahre her, dass ich mich in diesem Blog mit dem Thema Wahlcomputer befasste, aber die damals vom Bundesverfassungsgericht behandelte Frage, ob und wie Abstimmungen mit Computerhilfe vorgenommen werden können, stellt sich weiterhin. Angesichts immer populärer werdender Verfahren wie Kumulieren, Panaschieren, angesichts neuer Partizipationsmodelle wie Liquid Democracy oder Volksentscheide allgemein wird die Herausforderung, die zum Teil sehr komplexen Vorgänge mit einem vertretbaren Aufwand zu erfassen, immer größer. Letztlich muss sich jede dieser Techniken an einigen wenigen Kriterien messen lassen: Authentizität (Nur die Stimmberechtigen dürfen abstimmen und ihr Recht nicht übertragen), Geheimhaltung (Niemand darf erfahren, wer wie abgestimmt hat), Gleichheit (Jedes Votum hat das gleiche Gewicht, und jeder darf nur einmal abstimmen), Manipulationssicherheit und Transparenz (Jeder muss nachvollziehen können, wie das Ergebnis zustande kam). Das klassische Verfahren mit Wahlkabinen, Wahlurnen, Papierzetteln und Stiften ist zwar bei den bisher üblichen Wahlen mit einer oder zwei Stimmen unschlagbar, was die Erfüllung dieser Kriterien angeht, aber es skaliert schlecht. Für Nicht-Nerds: Je mehr Stimmen ich zulasse, desto mehr zähle ich mich am Wahlabend verrückt. Ich weiß nicht, ob Sie jemals als Wahlhelfer im Wahllokal gesessen haben, aber glauben Sie mir: Zwei Stimmen pro Zettel zählen Sie noch locker aus, aber spätestens, wenn Sie bei einer Landratswahl bis spät in die Nacht Stimmzettel mit bis zu zehn wild verteilten Kreuzen auswerten mussten, überlegen Sie sich dreimal, ob Sie sich das bei der nächsten Wahl noch einmal geben wollen. Hinzu kommt, dass Sie selbst auch schnell den Überblick verlieren. War der Stimmzettel eben wirklich gültig? Waren da doch nicht zu viele Kreuze drauf? Haben wir die Strichliste wirklich richtig geführt? Natürlich kann man das alles nachzählen, aber es ist nicht mehr so banal wie bei früheren Wahlen, als ein Stimmzettel maximal ein Kreuz enthalten durfte und man mehrere Möglichkeiten hatte, sicher zu stellen, dass die Zahlen noch stimmen.
Dummerweise haben die alten Wahlverfahren mit einer, maximal zwei Stimmen einen anderen Nachteil: Sie bilden den Wählerwillen nur sehr grob ab. So kann es passieren, dass Koalitionen an die Macht kommen, die eigentlich niemand wirklich haben wollte, oder dass nicht für jeden Sitz im Parlament die gleiche Anzahl von Stimmen nötig ist. Je mehr Möglichkeiten ich dem Wähler lasse, sich auf seinem Stimmzettel differenziert zu äußern, desto komplizierter wird das Auszählen und so weniger begreift man am Ende, wie die Entscheidung zustande kam, selbst wenn man papiergebunden wählt.
Lassen wir die ohnehin schon im System liegende Undurchschaubarkeit moderner Abstimmungsverfahren außer Acht, bleibt immer noch die Frage, wer das Ganze am Ende auszählen soll, und da liegt es nahe, die Arbeit von Computern erledigen zu lassen. Aufgrund des Verfassungsgerichtsurteils liegt die Idee in Deutschland derzeit auf Eis, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis wieder jemand freudestrahlend verkündet, mit seinem Computer könne man nun endlich sicher wählen. Andreas Eschbach hat sich ausgiebig dieser Frage gewidmet und ein sehr gut zu lesendes Buch geschrieben, das detailliert beschreibt, wie eine Manipulation von Wahlcomputern ablaufen könnte. Er erzählt die Geschichte eines jungen Computerspezialisten, der ein Programm geschrieben hat, das möglicherweise bereits bei der Wahl George W. Bushs zum Präsidenten zum Einsatz kam und nun einen Code entwickelt hat, mit dem die 2009 in der Bundesrepublik eingesetzten Wahlcomputer dazu gebracht werden können, einer beliebigen Partei den Sieg zuzuschlagen. Am Ende packen ihn zwar noch Skrupel, aber er kann nicht verhindern, dass seine Auftraggeber in Besitz des lauffähigen Codes gelangen. Glücklicherweise erfährt auch eine kleine Gruppe aus Rollenspielern und Computerenthusiasten von der Existenz des Programms. Da sie annehmen, dass ihnen ohnehin niemand glauben wird, beschließen sie, die nächste Bundestagswahl ad absurdum zu führen, indem sie eine Testfunktion des Programms ausnutzen. Egal, auf welche Partei das Programm eigentlich geeicht wurde, wenn eine Partei mit dem Kürzel "VWM", den Initialen des Programmierers, auftaucht, bekommt sie 95 Prozent zugeschlagen. Also gründen sie die "Volksbewegung zur Wiedereinführung der Monarchie", fest überzeugt, dass kein Mensch sie wählen und deswegen völlig klar sein wird, dass mit der Wahl etwas nicht stimmen kann, wenn sie auf einmal die Regierungsmehrheit stellen. Zufälligerweise springen aber die Medien auf das Thema an, und die VWM wird mit einem Schlag immens populär, so dass am Wahlabend den Beteiligten nicht klar ist, ob sie tatsächlich gewonnen oder die manipulierten Computer einfach nur funktioniert haben. Es sieht so aus, als kehre Deutschland zur Monariche zurück.
Eschbach hat für sein Buch sehr gut recherchiert - weit besser, als er gebraucht hätte, um einfach nur eine gute Geschichte abzuliefern. Er lässt zwar die Frage offen, wie es gelingen kann, bundesweit die Chips mit dem manipulierten Code in die Wahlcomputer einzusetzen und nach der Wahl wieder gegen die Originalchips auszutauschen, aber den Vorgang bis dahin beschreibt er korrekt und ohne eine Stelle, an der man sich als IT-Kundiger entsetzt an den Kopf fassen müsste. Selbst, dass der Chiptausch nicht genauer beschrieben wird, stört nicht, denn angesichts der im Buch geschilderten Unregelmäßigkeiten bei der Bush-Wahl ahnt der Leser: Wer eine Abstimmung fälschen will, muss nicht unbedingt von außen kommen.
Zu bemängeln gibt es an dem Buch kaum etwas: Zwei unbedeutende Fehler bei der Beschreibung des bundesdeutschen Wahlverfahrens, eine falsch beschriebene Fehlermeldung in einer Computerszene, ein leichter Hang zur klischeehaften Beschreibung der im Buch vorkommenden Subkulturen und ein etwas süßliches, aber durchaus angenehmes Ende sind die einzigen Punkte, die man anführen könnte, die aber den Lesespaß nicht nennenswert schmälern. Neben dem durchgängig gut lesbaren Schreibstil fällt vor allem ins Gewicht, dass Eschbach den "König für Deutschland" offenkundig nicht nur geschrieben hat, weil die nächste Rate aufs Haus gezahlt werden muss, sondern weil er unmissverständlich klären will, dass Computer prinzipiell für Wahlen ungeeignet sind. Computer sind, wie im Buch mehrfach gesagt, Multifunktionsmaschinen zur Datenmanipulation. Schon der Versuch, sie zuverlässig in ihrer Funktion zu kastrieren, läuft so sehr ihrem Design zuwider, dass er nicht gelingen kann. Eschbach mag sich auf die Schwächen eines inzwischen ausreichend in Verruf geratenen Wahlcomputermodells konzentriert haben, seine Bedenken sind aber grundsätzlich und gelten jedem Kästchen, das "Gratuliere, Sie haben gewählt" blinkt, wenn man auf einen Knopf drückt.
Andreas Eschbach, "Ein König für Deutschland", Bastei-Lübbe, 10 €